Mein Social-Media-Trend 2019: Ein analoger Wecker

Erschienen am 20.1.2019

Elektrische Tretroller. Die Rückkehr von „Brooklyn Nine-Nine“. Eppendorf-Twitter. Erbschaftssteuer. Sehr viel brennt gerade sehr heiß. Aber nichts reicht an die Temperatur von alten, klassischen, garantiert Internet-freien Weckern heran. Schaltet die Rauchmelder scharf, stellt drei Eimer Wasser bereit und kleidet eure Schlafzimmer mit Asbest aus – es wird hot, hot, hot!

Dafür heißt es Abschied nehmen vom Handy im Bett, neben dem Kopfkissen, drei Zentimeter vorm rechten Augapfel. Denn wir schlafen wieder ohne. Kalter Entzug, zwischen fünf und sieben Stunden täglich. Unser Fenster zur Welt – geschlossen, verdunkelt, weggesperrt in einen Nebenraum.

Damit die ersten Minuten morgens wieder uns gehören. Die kostbaren Momente des noch jungen Tages teilen wir nicht mit WhatsAppInstagramFacebookTwitter, sondern wieder mit uns, mit Partnern, Partnerinnen, Kindern, Milben, vielleicht noch Handwerkern oder informierten Technikern. Das Gerät muss warten!

Wecker statt Handywecker, weniger statt mehr, Kickstart – nicht Schlummertaste. Hier explodiert nun der Trendvulkan: ein Offline-Wecker muss her! Doch Vorsicht, es tut nicht irgendein Ikea-Reisewecker für zwei Euro – es muss ein Designwecker sein. Braun hat da was von Dietrich Lubs, was schon sehr nach Dieter Rams aussieht, und die Namen klingen ja auch ähnlich. Jedenfalls Design, denn der Wecker signalisiert unsere neue Achtsamkeit, uns und der Welt gegenüber. Da stört ein hässliches Stück Plastik.

Die Investition in einen Stand-Alone-Wecker zahlt sich jeden Morgen aus: Mit Zeit, die wir plötzlich ganz bewusst genießen. In der wir die Pflege unseres Bonsais gedanklich durchspielen, das Arrangement der Früchte auf dem kalt eingelegten Haferbrei oder unseren re:publica-Talk über Digital Detox in der privaten Ruhezone. (Der Designwecker macht sich super auf Powerpoint.)

Wir machen die Augen zu und gehen offline. Praktisch an dem Medientrend 2019: Die letztlich minimale Einschränkung bei maximaler Selbstliebe. Denn während sich der Cyber-Prolet noch von „Radar“, „Erwachen“ oder „Funkeln“ in die Marktwirtschaft rufen lässt, genießen die Offlinefreunde schon wieder das Piezo-Fiepen aus einer Zeit, in der vieles nicht besser, aber immerhin offline war. Jetzt erstmal das Handy suchen.

Zuerst hier erschienen